Dementsprechend sind die Reallöhne in städtischen Ballungsräumen seit 2005 um rund 10% pro Jahr gestiegen und übertreffen sogar das außergewöhnliche BIP-Wachstum des Landes. Die örtlichen Regierungen haben diesen Trend zusätzlich unterstützt, indem sie die Mindestlöhne in ihren Provinzen anhoben. In den ersten Produktionszentren in Guangdong (nördlich von Hongkong) und Zhejiang (südlich von Shanghai) beliefen sich die gesetzlichen monatlichen Mindestlöhne Ende 1999 auf 450 CNY bzw. 380 CNY (USD 54 bzw. USD 46, angepasst an aktuelle Wechselkurse). Heute betragen sie 2.100 CNY bzw. 2.010 CNY (USD 319 bzw. USD 305) und die Reallöhne für ausgebildete Arbeiter und Facharbeiter liegen noch einmal um 8% jährlich darüber, was die rückläufige Zahl der Arbeitskräfte und die gestiegene Produktivität zum Ausdruck bringt.
Durch die steigenden Löhne verlor China vordergründig an Attraktivität für Investitionen. Allerdings lässt ein einfacher Vergleich dieser Nominalkosten drei wichtige Aspekten außer acht.
1. Potenzielle Vorteile einer Verlegung von Kapazitäten innerhalb des Landes in billigere Provinzen im Landesinneren.
Der leichte Zugang zu vorhandenen Häfen machte Küstenprovinzen wie Guangdong und Zhejiang von Anfang an zur logischen Standortwahl für Fabriken. Angesichts der Verbesserung der logistischen Infrastrukturen und des effizienteren Betriebs gelang es chinesischen Herstellern, internationalen Kunden billige Arbeitskräfte und rasche Auftragsbearbeitung anzubieten, durch die wiederum die Bestandshaltung reduziert werden konnte. Zusätzlich waren die gestiegenen Einsparungen bei den Lagerhaltungskosten ein zumindest teilweiser Ausgleich für gestiegene Arbeitskosten.
Jetzt, nach mehreren Jahrzehnten fokussierter Investitionen durch die Regierung von Xi Jinping zur Entwicklung der Infrastrukturen in den Provinzen im Landesinneren, bieten Fabriken an Orten wie Anhui, Chongqing und Sichuan deutlich niedrigere Löhne mit begrenzten Lieferzeitverlusten. Beispielsweise sind Chengdu (Sichuan), Zhengzhou (Henan), Chongqing, Xi’an (Shaanxi) und Urumqi (Xinjiang) Hubs für den China-Europe Railway Express Service nach Duisburg durch Zentralasien und Osteuropa, der Teil der neuen Seidenstraße ist.
China Railway, der staatliche Bahnbetreiber, entwickelt ein Netzwerk mit Hochgeschwindigkeits-Güterzügen, vergleichbar mit dem Netz für den Personenverkehr. Der Warenverkehr ist in China auf Grund von Unterkapazitäten derzeit etwa doppelt so teuer wie in Japan und den USA. Investitionen in ein fortschrittliches Leitsystem und eigene Bahnstrecken könnten den Anteil der Waren erhöhen, die entweder mit dem China-Europe Railway Express bis nach Europa verschickt werden oder an Häfen gebracht und als Schiffsfracht weiter verschickt werden. Dadurch würden die hohen Logistikkosten gesenkt und auch die Umwelt geschützt, weil verschmutzende LKWs von der Straße geholt werden.
2. Chinesische Arbeitskräfte sind hoch produktiv und werden durch Investitionen in Robotertechnik und Automatisierung unterstützt.
Technologische Verbesserungen machen Investitionen in Robotertechnik und Automatisierung zu Alternativen für menschliche Arbeitskraft und ermöglichen Produktivitätssteigerungen für Arbeitnehmer. Laut International Federation of Robotics wurden in chinesischen Fabriken 2019 140.500 Einheiten installiert, bei weitem die meisten weltweit (Japan liegt an zweiter Stelle mit rund 50.000) (s. Abb. 2). Obwohl auf China über 30% der installierten Basis entfallen, liegt das Land mit einer Dichte von 187 Robotern pro 10.000 Arbeitern noch immer hinter Ländern wie Japan (364), Deutschland (346) und Südkorea (855). Jetzt wo kollaborative Roboter oder „Cobots“ auf den Markt kommen, gibt es zunehmend Möglichkeiten, damit selbst Arbeitnehmer, die einfachere Aufgaben ausführen, effizienter und produktiver werden.