Zum Jahreswechsel 2021/22 drehte sich alles um die Frage, ob sich die Märkte auf einen vorübergehenden Preisdruck oder eine längerfristig erhöhte Inflation einstellen sollten. Wir fürchteten vor allem, dass die Kapitalmärkte das Risiko einer Rückkehr der Inflation überhaupt nicht eingepreist hatten.
Wie wir jetzt wissen, erwies sich Theorie einer vorübergehend erhöhten Inflation im Jahresverlauf 2022 zunehmend als unhaltbar. Durch die aggressiven Zinserhöhungen der Zentralbanken wurde 2022 das schlechteste Jahr aller Zeiten für Staats- und Investment-Grade-Anleihen. Deflationsgewinner – zum Beispiel Technologieaktien und strukturelle Wachstumsaktien – gerieten unter massiven Verkaufsdruck, während defensive Sektoren und Value-Aktien die Performancerankings anführten. Rohstoffe und Aktien aus dem Energiebereich legten stark zu.
Zum Jahreswechsel 2022/23 richtet sich die Aufmerksamkeit jetzt vor allem auf die Frage, wann die Inflation wieder zurückgeht. Nach Ansicht vieler Kommentatoren wäre ein solcher Rückgang ein Signal, dass die Zinsen in den USA ihren Höchststand erreicht haben, da er es der US-Notenbank (Fed) erlauben würde, die Zügel wieder zu lockern. Das wiederum könnte den Startschuss für eine kräftige Rally von Risikoanlagen geben.
Dass sich die Inflation gegenüber den diesjährigen Höchstständen abschwächt, ist wahrscheinlich, bedeutet aber nicht, dass die Inflationsziele der Zentralbanken erreicht werden. Ob im Finanzsystem deflationäre oder inflationäre Kräfte wirken, hängt von der Entwicklung der Inputkosten, der Arbeitsmarktsituation und der Nachfrage ab.
Welche Auswirkungen haben die geopolitischen Spannungen auf die Märkte?
Durch die sich verschlechternde demographische Entwicklung in China und die zunehmenden geopolitischen Spannungen wird es schwieriger, Produktion an Billiglohnstandorte auszulagern. In den Industrieländern führen tiefgreifende Veränderungen der Arbeitsstrukturen zu einem Mangel an Arbeitskräften. Wie dauerhaft diese Veränderungen sein werden, ist allerdings noch nicht klar.
Unterdessen haben die Pandemie und der Krieg in der Ukraine dazu geführt, dass der Schwerpunkt der Staatsausgaben auf die Gewährleistung der Sicherheit im weitesten Sinne liegt, d. h. auf der Energieversorgung, der Verteidigung und der Resilienz der Lieferketten. Das dürfte einen Investitionszyklus anstoßen, der durch die Versorgungslücken im Energie- und Rohstoffbereich noch dringlicher wird (wobei letztere zum Teil auf Maßnahmen zur Reduzierung der CO2-Intensität in Reaktion auf den Klimawandel zurückzuführen sind). Das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage in diesem Bereich wird noch akuter werden, wenn China schrittweise von seiner Null-Covid-Politik abrückt.
Aus diesem Grund rechnen wir auch nicht mit einer schnellen Lockerung der Geldpolitik. Wir glauben zwar, dass der Markt mit der Erwartung einer Pause im Zinserhöhungszyklus richtig liegt, sehen aber noch zu viele strukturelle Faktoren, die inflationär wirken.
Die Zeit der kostenlosen Liquidität ist vorbei
Bis Anfang 2022 haben Anleger in den entwickelten Märkten drei Jahrzehnte lang von einem Umfeld profitiert, in dem die Zinsen von über 15% fast auf Null gesunken sind. Mit der Annäherung der Zinsen an die Nulllinie fiel der positive risikolose Zins als Bewertungsanker bei Anlagewerten mit langer Duration weg. Das rechtfertigte höhere Multiplikatoren für Wachstumsaktien und historisch niedrige Renditen an den Anleihemärkten (im Jahr 2019 waren 30% der weltweit im Umlauf befindlichen Anleihen negativ verzinst). Beide Anlageklassen verzeichneten eine außergewöhnlich starke Performance.
Um die Inflation einzudämmen, entziehen die Zentralbanken dem System jetzt wieder Liquidität. Die Zeit der ‚kostenlosen‘ Liquidität ist vorbei
Was bedeutet das für Anleger? Kurzfristig besteht ein erhöhtes Rezessionsrisiko. Mit dem Anstieg der Diskontierungssätze sind die Bewertungsmultiplikatoren in diesem Jahr gesunken. Bislang sind die Gewinnschätzungen der Analysten aber relativ positiv. Aus Anlegersicht wird sich daher mit Blick auf die ersten Monaten des Jahres 2023 eine wichtige Frage stellen: Inwieweit es zu negativen Gewinnrevisionen kommen wird, die noch nicht eingepreist sind. Zyklische Sektoren haben bereits eine erhebliche Bewertungskorrektur erfahren, während sich defensive Sektoren trotz des zunehmenden Drucks durch steigende Inputpreise deutlich besser gehalten haben.
Was werden die wichtigsten Renditetreiber sein?
Längerfristig rechnen wir mit einem durch anhaltend hohe Kosten geprägten Umfeld. In diesem Zusammenhang wird die Preissetzungsmacht entscheidend sein und sich die Fähigkeit der Unternehmensleitungen, das komplexere deglobalisierte Geschäftsumfeld erfolgreich zu adressieren, als wesentlicher Differenzierungsfaktor erweisen. In einem Umfeld höherer Zinsen wird die absolute Höhe der Schulden der einzelnen Unternehmen eine viel wichtigere Rolle in der Risikobewertung spielen. Gleichzeitig werden Liquiditätsreserven zu einem verzinsten Vermögenswert und stützen so die Ertragsstärke.
Vor allem stellt dieser risikolose Zinssatz jetzt einen Kapitalkostenfaktor dar. Unternehmen werden Cash-Returns liefern müssen, anstatt nur langfristige Versprechen zu machen.
Die Bewertung ist wieder ein Risikofaktor, nachdem sie im Nullzinsumfeld kaum noch eine Rolle zu spielen schien. Nach der Entwicklung der Märkte im Jahresverlauf 2022 sehen unsere Teams jetzt in allen Anlageklassen interessante Anlagemöglichkeiten. Das Fixed Income Team sieht Hinweise darauf, dass die Anleihemärkte wieder attraktiver werden. Angesichts des höheren Zinsniveaus hält es umsichtige Kreditanalysen jedoch für unverzichtbar. Nach der starken Korrektur des zuvor sehr hoch bewerteten chinesischen Marktes, durch den die Bewertungen auf das Niveau von 1998 zurückgekehrt sind, sieht unser Asien-Team jetzt wieder selektive Anlagemöglichkeiten. Großbritannien und Europa stehen bei globalen Anlegern weiterhin nicht gerade hoch im Kurs, bieten aber ein bedeutendes Exposure in Branchen, die von der sich verändernden Marktdynamik profitieren dürften und attraktiv bewertet sind (was die relative Performance im sehr schwierigen makroökonomischen und politischen Umfeld des Jahres 2022 untermauerte).
In einem sind sich jedoch alle Teams einig: Mit marktorientierten Beta- oder Faktor-Strategien dürften Anleger weniger gut aufgestellt sein als in den vergangenen zehn Jahren. Als wichtigste Renditetreiber sehen sie umfassende Analysen finanzieller und nicht-finanzieller Kennzahlen, den intensiven Austausch mit den Managementteams für ein fundiertes Verständnis der Unternehmensstrategie und die Bewertungsdisziplin. Was uns erwartet, ist ein chancenreiches Umfeld für fundamental orientierte, aktive Anleger.